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Reportage: Weitwandern mit Berggeistern und Heiligen
Fünf Tage lang am Stück wandern? Bisher habe ich mir das noch nicht zugetraut. Aber jetzt gibt es einen neuen Weitwanderweg in den Tiroler Bergen, der weder extreme Gipfelkraxeleien noch schweißtreibende Höhenmeterrallyes erfordert. Er sei ideal für Genusswandererinnen wie mich, bleibt in angenehmen Höhenlagen und die Etappenorte befinden sich allesamt im Tal.
Das klingt erstmal gut. Eines jedoch ist mir noch nicht ganz geheuer: Entlang der Strecken sollen Berggeister ihr Unwesen treiben. Werde ich mich trotzdem trauen, den Bergsagen-Weitwanderweg zu gehen?
Ein geheimnisvoller Lärchenwald und mysteriöse Bergriesen
Eines vorweg: Ich werde. Zu verlockend ist die Route, die zwischen Karwendelgebirge und den Tuxer Alpen verläuft, zu verlockend lesen sich auch die Speisekarten der anvisierten Hütten und Almen.
Ich starte in Gnadenwald, einem kleinen Dorf auf einem Sonnenplateau, wie es herrlicher nicht liegen könnte. Entlang des Jakobsweges geht es bis zur versteckten Wallfahrtskirche Maria Larch. Hier, in diesem Lärchenwald, soll der Legende nach eine Bauersfrau die Gegenwart der Heiligen Maria besonders intensiv gespürt haben; in den darauffolgenden Jahrhunderten wurde der Ort zum beliebten Wallfahrtsort. Auch ich spüre die Magie dieses besonderen Platzes und lege hier eine längere Pause ein, bevor ich über das Dorf Fritzens weiter nach Wattens gehe. Der heutige Etappenort ist vor allem für die Swarovski Kristallwelten bekannt. Auch ich betrete die funkelnde Wunderwelt, die von einem Wasser speienden Riesen bewacht wird. Ich fühle mich augenblicklich verzaubert in den Wunderkammern, die unter anderem von André Heller, James Turrell und Yayoi Kusama gestaltet wurden. Aber noch mehr interessiert mich jetzt, welches Gasthaus denn nun ein leckeres Schnitzel für meinen hungrigen Magen bereithält.
Am nächsten Morgen geht es weiter: Von Wattens starte ich in das urige Voldertal. Nach einer Rast auf der Voldertalhütte, wo ich mir schon am Vormittag ein leckeres Stück Apfelstrudel genehmige, geht es weiter in das Reich des Glungezerriesen. Hier oben soll er einst gehaust haben, in einer Höhle, und in der Nacht oft so furchtbar gebrüllt haben, dass Lawinen und Muren ins Tal stürzten. Auch heute, bei schönstem, sonnigem Wetter, zieht es mir eine Gänsehaut auf. Nach einer Demütigung versenkt er nämlich der Überlieferung nach ein ganzes Tal in einem See, mitsamt allen Einwohnern. Hätte er mal besser die wunderbare Aussicht genossen, so wie ich jetzt gerade hier am idyllischen Zirbensee, und das ganze Unheil wäre nicht passiert. Auch später, beim Abstieg durch den duftenden Zirbenwald lässt mich die Sage nicht los. Auch deshalb bin ich froh, als ich in meiner gemütlichen Pension einchecke und dann die Füße hochlegen kann.
Zu Gast beim König von Thaur
Tags darauf bin ich endgültig im Weitwandermodus angekommen. Voller Elan schnüre ich die Wanderschuhe und mache mich auf den Weg. Heute stehen etwas weniger Kilometer auf dem Plan, ich werde die Etappe mit einer kurzen Busfahrt abkürzen, um mehr Zeit in der hübschen Mittelalterstadt Hall in Tirol verbringen zu können.
Schließlich wandere ich gemütlich hinauf nach Thaur und sehe mir die dortige Schlossruine an. Hier soll einst der Heilige Romedius aufgewachsen sein, der „König von Thaur“, wie er im Volksmund genannt wird. Im benachbarten Romediwirt lasse ich mir ein Tiroler Gröstl schmecken und werfe auch noch einen Blick in das Romedikirchl. Wie gut, hier keinen Berggeist anzutreffen, sondern bloß einen Heiligen, auch wenn der Heilige Romedius alles andere als ein Stubenhocker gewesen ist (man erzählt sich, dass er einmal einen gezähmten Löwen geritten haben soll. Aber das ist eine andere Geschichte).
Beim Bettelwurfgeist, da scheppert‘s
Wie gut, dass die gestrige Etappe kürzer war, denn heute sind meine Wanderwadln voll gefordert: es geht zur Thaurer Klamm und der majestätischen Kaisersäule. Am sogenannten „Törl“ passiere ich den Übergang ins wildromantische Halltal. Hier fühlt man sich augenblicklich zurückversetzt in eine andere Zeit. Deshalb kann ich mich bestens einfühlen in jene Legende, die hier seit jeher erzählt wird. Ein Geist soll in den rauen Felswänden des Karwendels sein Unwesen treiben: Der Bettelwurfgeist.
Nur ein hartes Stück Brot soll ein armer Bergarbeiter bekommen haben auf seine Bitte um ein Almosen an der Pforte eines Klosters. Als er daraufhin im Zorn das Brot, eine Gottesgabe, gegen einen Felsen schleuderte, soll ihn die Klosterfrau verwünscht haben. Seitdem spukt er als Geist durch das Karwendel. Während ich noch über die Geschichte nachsinne, ertönt plötzlich ein lauter Rumpler. Erschrocken sehe ich auf die Felswand neben mir. Ein Stein hat sich gelöst, und ist zwar nicht auf den Weg, aber doch knapp danebengefallen. Ich habe doch auf der Alm meine Speckknödelsuppe brav aufgegessen, und bin mir auch sonst keiner Schuld bewusst. Mich kann der Bettelwurfgeist also gar nicht meinen, oder etwa doch?
Mit rascherem Schritt gehe ich weiter, nicht nur wegen des Bettelwurfgeistes, sondern auch, um mein Etappenziel zu erreichen. Es ist wieder Gnadenwald, dieser himmlisch gelegene Ort, und himmlisch weich ist auch das Bett, in das ich nach einem langen Tag müde und zufrieden plumpse.
Zum guten Schluss: Almenidyll, soweit das Auge reicht
Heute, am letzten Tag, steht noch eine schöne Panorama-Rundtour auf dem Programm. Fast wehmütig ziehe ich meine Wanderschuhe an, schultere den Rucksack und marschiere los, nicht ohne vorher das herzhafte Bauernfrühstück genossen zu haben, dass ich in meiner Unterkunft serviert bekommen habe. Einen knackigen Anstieg später stehe ich auf der Hinterhornalm und muss erstmal Luft holen. Erstens wegen des Anstiegs und zweitens wegen der phänomenalen Aussicht, die sich mir bietet: Weit über das Inntal sehe ich, hinüber zu den Tuxer Alpen, wo ich vorgestern noch unterwegs war.
Eine kurze Wegstrecke führt von hier aus zur Walderalm, einer Alm, wie sie idyllischer nicht sein könnte. Ich setze mich ins Gras und schließe für einen Moment die Augen. Diese Stille würde ich mir gerne einpacken und mit nachhause nehmen. Und gerade hier, an diesem paradiesischen Platz, soll es früher gespukt haben? Von nächtlichen Kuhglockengeläute wie von Geisterhand und Gespensterhunden ist die Rede. Ich kann mir das gar nicht vorstellen, so friedlich und still liegt die idyllische Alm im Sonnenlicht vor mir. Vielleicht sieht auch hier alles ganz anders aus, nachts, womöglich bei Vollmond? Über die Ganalm geht es zurück nach Gnadenwald, dem Ausgangspunkt meiner Weitwanderung. Geschafft, aber glücklich lasse ich die letzten fünf Tage Revue passieren. Der Bergsagen-Weitwanderweg hat eindeutig gehalten, was er versprochen hat: Angenehmes Weitwandern-Feeling mit tollen Ausblicken, traumhaft gelegenen Almen und interessanten Übernachtungsorten. Ganz sicher werde ich ihn bald wieder gehen. Und das nächste Mal werde ich ein Stück Brot dabeihaben, für den Bettelwurfgeist. Vielleicht war er ja auch bloß hungrig …
NEU AB SOMMER 2024: Der Bergsagen-Weitwanderweg zwischen Karwendel und Tuxer Alpen
Für Genusswanderer*innen Fünf Etappen Zwischen 11 und 17 km Tageskilometer/ 190 und 1350 hm Zwischen drei und sieben Stunden Tagesgehzeit Alle Etappenziele im Tal Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut möglich
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Downloads | | Unter den Fotos finden Sie jeweils einen Link zum Download einer druckfähigen Version. | | | | | | | | Bergsagen-Weitwanderweg | | Der neue Bergsagen-Weitwanderweg besteht aus fünf malerischen Etappen zwischen Karwendel und Tuxer Alpen. (c)Hall Wattens Tourismus; Abdruck honorarfrei |
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